Der Frühling ist die Zeit des Jahres, in der die Natur und das Leben wieder mit Energie gespeist werden. Sonne, frisches Grün und blühende Blumen deuten auf einen lebendigen Neubeginn; dieses Gefühl trug der polnische Künstler Pawel Althamer (geboren 1967 in Warschau) mit seinem Ausstellungsprojekt Frühling in die Kunsthalle Fridericianum. Er hatte mehrere hundert Kinder aus Kassel eingeladen, über tausend Quadratmeter dieses historisch beladenen und weltbekannten Ausstellungsortes, mit seiner Vergangenheit als Bibliothek und Parlamentsgebäude, zu besetzen und mit junger und kühner, vor allem aber mit ihrer noch „freien Kreativität“ zu beleben und zu verwandeln. Die Kinder waren die Hauptakteur/innen und Pawel Althamer nahm die Rolle ihres Gastes und Assistenten ein.
Die multiple Autorschaft, ihre Übergabe an andere Mitwirkende, die auch aus einem sozial unterpriviligierten Kontext stammen können, wie Bewohner aus prekären Stadtrandgebieten, Obdachlose, Gefängnisinsassen und immer wieder Jungendliche und Kinder, ist für Pawel Althamer ein wichtiger künstlerischer Ausgangspunkt. So hat er beispielsweise mit der Aktion Bródno 2000 rund zweihundert Familien aus dem gleichnamigen Plattenbaukomplex in Warschau gewinnen können, ihre Wohnungsbeleuchtung so ein- bzw. auszuschalten, dass an der Fassade des Gebäudes die Jahreszahl 2000 hell erstrahlte. Zusammengehörigkeit und Gruppengefühl spielten hierbei eine entscheidende Rolle. 2001 suchte der Künstler explizit polnische Obdachlose in Frankfurt auf, kleidete sie neu ein, um sie dann unentdeckt unter das Eröffnungspublikum der Ausstellung Neue Welt einzuladen. Im Rahmen seiner Ausstellung Prisoners (2002) arbeitete Pawel Althamer mit Insassen der Justizvollzugsanstalt in Münster zusammen. In gemeinsamen Workshops fertigten sie Objekte und Zeichnungen, die zusammen mit einfachen Fundstücken aus dem Gefängnis im Kunstverein Münster ganz konventionell ausgestellt wurden.
Ideen und Zeichen der Veränderung und Erweiterung, die Auflösung vorgegebener, strenger Strukturen spielen in Pawel Althamers künstlerischer Arbeit eine wichtige Rolle. Mit seinen Performances, die stark konzeptuell geprägt sind und von dem Prozesshaften leben, untergräbt der Künstler bestehende Regelsysteme und ruft neue Handlungsmuster hervor. Durch den Rückzug seiner Person als Künstler in seinen performativen Arbeiten schafft er eine gänzliche Vermischung von Kunst und Leben und er ermöglicht dabei auch die Aufmerksamkeit für Menschen, die an anderen Orten Ausgrenzung erfahren und schafft in diesem Zusammenhang wertvolle Öffentlichkeit.
Ab Ende März 2009, dem kalendarischen Frühlingsanfang und gleichzeitigem Aufbaubeginn der Ausstellung, gehörten alle Räume im Obergeschoss des Fridericianums der Freiheit und den Ideen der Kasseler Kinder. Ein Camp mit einem riesigen Zelt im Zentrum, Sofas, Tische, Stühle, Teppiche und Matratzenburgen luden nicht nur zu Gesprächen ein. An den Wänden waren Zeichnungen der Kinder zu sehen, die auf ihre Projekte verwiesen. Ein wahrhaft riesiges Trojanisches Pferd wartete auf seine Bewohner sowie auch mehrere Höhlen und ein zweistöckiges Appartment mit hängenden Möbeln und überall im Raum verteilt fanden sich die gebastelten Modelle großer Ideen. Darunter konnte man eine Ritterburg mit Labyrinth, ein Horrorkabinett, eine Disco, Flügel zum Fliegen, ägyptisches Mobiliar oder Boote und U-Boote entdecken.
Die Kinder waren voller Energie und Spannung, das Fridericianum ebenso. Bis zu seinem kalendarischen Ende am 21. Juni 2009 konnte sich Frühling im Fridericianum als ein Prozesskunstwerk entwickeln.