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Kunsthalle Fridericianum

In der Kunsthalle Fridericianum präsentiert Teresa Margolles unter dem Ausstellungstitel Frontera Werke, die die beängstigenden Ausmaße des Drogenkriegs auf die mexikanische Gesellschaft reflektieren, sich aber auch mit einer allgemeinen Tabuisierung von Tod und Gewalt auseinandersetzen. Mit reduzierten, aber stets drastischen Mitteln lässt Teresa Margolles Werke von höchster Eindringlichkeit entstehen. Während ihre Arbeiten auf den ersten Blick formal minimalistisch erscheinen mögen, eröffnen sie ihre tiefe Emotionalität und Dramatik erst, wenn das Publikum ihrem rigorosen Realismus in der Materialwahl auf die Spur kommt.

Die großformatige malerische Außenarbeit Frontera an der Fassade des Fridericianums umschließt das gesamte Gebäude: 40 in Erde und Körperflüssigkeiten getränkte Stoffe werden das Fridericianum durch Einfluss der Witterung ‚bluten’ lassen. Margolles verwendet Substanzen wie Blut, Körperfett oder auch Leichenwaschwasser nicht nur symbolisch sondern plastisch und attackiert damit auf subtile Weise menschliche Berührungsängste. In unmittelbaren Kontakt mit den Toten versetzt sie die Besucher/innen mit der neuen Installation Plancha, indem sie Leichenwaschwasser aus einem mexikanischen Obduktionssaal im Ausstellungsraum auf eine sechs Meter lange, heiße Stahlplatte tropfen lässt und den Tod damit olfaktorisch und atmosphärisch wahrnehmbar macht. Darüber hinaus errichtet sie in Kassel erstmalig in einem Ausstellungsraum zwei Mauern, die sie in mexikanischen Städten hat abtragen lassen und dort durch neue Mauern ersetzt hat. Die mannshohen Betonsteinwände entpuppen sich als Zeugen der alltäglichen Gewalt, sind doch die Einschusslöcher sichtbar, die von Straßenkämpfen stammen und das Stadtbild etwa von Ciudad Juárez, wo der Drogenkrieg besonders heftig tobt, nachhaltig prägen.

Als Relikte von Opfern krimineller Gewalt zeigt Margolles zudem Vitrinen, in denen Schmuck präsentiert wird, den sie mit an Tatorten gefundenen Glassplittern herstellen ließ. Während die goldenen Uhren, Ohrringe, Ketten und Armreife wie für die Auslage im Juweliergeschäft drapiert sind, verweisen diese Wertsachen als Vanitassymbole unmittelbar auf den plötzlichen, unverhofften Tod, der den Polizist/innen, Staatsbeamt/innen, aber auch den Passant/innen widerfuhr. Für eine weitere skulpturale Arbeit hat Margolles auf dem Schwarzmarkt Betonstahl von zerstörten Straßenzügen erstanden und das Material zu einem minimalistischen Kubus eingeschmolzen. Mit seinem Gewicht von einer Tonne steht dieser Kubus als maximal verdichtetes Sinnbild für das Leiden und den Zerfall in Mexiko.

In ihren filmischen Arbeiten dokumentiert sie in bedrückender Weise Orte ohne Zukunft; ein Armenviertel im Norden Mexikos sowie drei Jungen, die um die Aufmerksamkeit der Kamera buhlen. In zwei Videos zeigt Margolles Performances auf Schulhöfen in Guadalajara und Ciudad Juárez mit denen sie auf die Abwesenheit der ermordeten Jugendlichen eines einzelnen Monats aufmerksam macht. Diese neuen Videoarbeiten ergänzen die Ausstellung um die Thematik der Ausweglosigkeit in den Grenzstädten Mexikos zu den USA.

 


Ein Katalog zur Ausstellung ist ist im Verlag der Buchhandlung Walther König erschienen. Frontera wurde vom 27. Mai bis 21. August 2011 im Museion, Bozen, gezeigt.



Under the title Frontera, Margolles is presenting works which reflect the frightening extent to which the drug war is influencing Mexican society, they also engage with the general taboo on death and violence. Using reduced but always drastic means, Teresa Margolles creates extremely poignant works of art. At first glance, her works often seem to be minimalist in their form. Viewers only discover that they are deeply emotional and dramatic when they become aware of the rigorous realism in the choice of material.

The large painterly exterior work Frontera on the outer façade of the Fridericianum envelops the entire building. 40 lengths of cloth dipped in soil and bodily fluids will make the Fridericianum ‘bleed’ when subjected to weather influences. Margolles uses substances such as blood, body fat or even water used to wash dead corpses not only symbolically, but also palpably, attacking human beings’ fears of contact in a subtle way. Margolles confronts visitors directly with death by having water used for washing corpses taken from a Mexican autopsy room drip on to a hot steel plate in the exhibition space, thus making death perceptible both olfactorily and atmospherically. In addition, she is putting up two walls in the Kassel exhibition which she has had removed from Mexican cities and replaced with new walls. The man-high concrete-block walls are witnesses of daily violence: they display bullet holes resulting from shoot-outs that have had a lasting impact on cities such as Ciudad Juárez, where the drug war is raging with particular vehemence.

Margolles also shows relics of victims of criminal violence, presenting glass display cabinets with jewellery of shot police officers, government officials, passers-by and tourists. While the golden watches, earrings, chains and bracelets are draped as though on display in a jewellery store, as vanitas symbols the valuables directly refer to the sudden, unexpected deaths of these people. For another sculptural work she bought structural steel scrap from razed neighbourhoods on the black market and melted the material into a minimalist cube. Weighing one tonne, this cube is a maximally compressed symbol of suffering and decay in Mexico.

In her filmic work, she documents places with no future in a disturbing way; a poor quarter in the north of Mexico as well as three boys vying for attention from the camera. In two videos, Margolles shows performances at schoolyards in Guadalajara and Ciudad Juárez, drawing attention to the absence of the many young people murdered in a single month. These new video works add the theme of hopelessness in Mexican towns bordering the USA to the exhibition.

Frontera is realised in collaboration with Museion, Bolzano and will be on view from 27 May to 21 August 2011 at the Museion.

Teresa Margolles


Teresa Margolles wurde 1963 in Culiacan, Mexiko geboren. Nach ihrem Studium der Kunst und der Kommunikationswissenschaften erwarb sie zusätzlich ein Diplom in forensischer Medizin an der Universität von Mexiko Stadt wo sie gegenwärtig lebt und arbeitet.


Im Jahr 2009 bespielte Teresa Margolles mit der Ausstellung What Else Could We Talk About? den mexi- kanischen Pavillon bei der Venedig Biennale. Zu ihren jüngsten Einzelausstel- lungen gehören des Weiteren Los Herederos in der Galerie Peter Kilchmann, Zürich (2009), En Lugar de los Hechos – Anstelle der Tatsachen in der Kunsthalle Krems (2008), 127 cuerpos im Kunstverein für die Rheinlande und Westfalen, Düsseldorf (2006), Caída Libre/Chute libre im Frac de Lorraine, Metz, (2005), Muerte sin fin im Museum für Moderne Kunst, Frankfurt am Main (2004), sowie Das Leichentuch in der Kunsthalle Wien (2003).


Teresa Margolles ist seit 1995 an zahlreichen Gruppenausstellungen beteiligt. Hierzu gehören Une Idée, une Forme, un Être - Poésie/Politique du corporel im Migros Museum, Zürich (2010), Don't stare at the sun im Centre of Contemporary Art, Torun und Man Son 1969. Vom Schrecken der Situation in der Kunsthalle Hamburg, (beide 2009); Political/Minimal im KW Institute for Contemporary Art in Berlin (2008), Viva la Muerte! in der Kunsthalle Wien (2007), Six Feet Under im Kunstmuseum Bern (2006), Made in Mexico im UCLA Hammer Museum in Los Angeles und im Institute of Contemporary Art in Boston (beide 2004). Margolles nahm an unterschiedlichen internationalen Biennalen für zeitgenössische Kunst teil, wie etwa der Manifesta 7 in Bozen (2008), der Liverpool Biennale (2006), der Prague Biennale (2005 und 2003) und der Gwangju Biennale (2004).