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Kunsthalle Fridericianum
Der britische Künstler Matt Stokes (geboren in Penzance, England, 1973)  setzt sich in seinen oft filmischen und eventbasierten Werken mit Subkulturen auseinander. In akribischer Recherche geht er den Ursprüngen bestimmter Szenen und Musikgruppen nach und untersucht die lokal spezifische Entwicklung wie beispielsweise die der Folk-Bewegung in Camden und Newcastle, des Northern Soul in Dundee oder des Punk Rock in Austin, Texas. Stokes interessiert sich für die Art und Weise, wie Musik ein Gefühl von Kollektivität erzeugt, als Katalysator für bestimmte Gruppen fungiert und das Leben und die Identität des Menschen formt und beeinflusst. Er vertieft sich in ein bestimmtes Umfeld, lässt sich auf die Gemeinschaft einer Subkultur ein und es gelingt ihm auf diesem Wege die Charakteristika bestimmter Szenen auf eine künstlerische Weise zu vermitteln, die nicht nur dokumentarisch, sondern auch persönlich und expressiv ist. Aus der langfristigen Recherche, dem Sammeln von Eindrücken, Geschichten und Materialien resultieren Arbeiten, die in Form von Filmen, Ausstellungsprojekten, aber auch musikalischen Werken und Events ein konzeptuelles und ästhetisches Eigenleben entfalten.

Die Kontextgebundenheit in Stokes’ Arbeiten bezieht sich häufig auf die musikalische Geschichte desjenigen Ortes, für den er eine Ausstellung konzipiert. Bereits 2003 blickte der Künstler mit dem fortlaufenden Projekt Real Arcadia (2003) auf die britische Ravekultur der 1980er Jahre zurück, die losgelöst von Clubs in Höhlen (den sogenannten Cave Raves) in der freien Natur ausgelebt wurde. Hierfür nahm Stokes engen Kontakt zu den damaligen Akteuren auf, trug Filmmaterial und zugehörige Fernsehberichte zusammen, sammelte eine Vielzahl von Objekten wie Kassetten, Schallplatten, Poster, Flyer und T-Shirts, anhand derer er die Geschichte dieser Kultur nicht nur archivierte, sondern zugleich zu neuem Leben erweckte. Der Film Long After Tonight (2005) setzt sich mit der britischen Musikbewegung und Subkultur des Northern Soul auseinander, die sich zum Ende der 1960er Jahre im Norden Englands und Schottland formierte und prägenden Einfluss auf die Lebensstile nahm. Während eines Künstleraufenthalts in Austin entstand für das Arthouse die Arbeit these are the days (2008), mit der Matt Stokes die Bewegungen des Punk, Post-Punk und des DIY in Austin erkundete. Diese Alternativszenen stellten seit den 1970er Jahren eine Art Antihaltung gegen den Mainstream in Austin dar und haben sich zu einflussreichen Subkulturen vor Ort entwickelt. Im Rahmen seiner Solopräsentationen im Baltic Centre for Contemporary Art in Gateshead und im 176 in London entstand das filmische Werk The Gainsborough Packet (2008-09). An das Format von Musikvideos erinnernd und im Stil von Kostümfilmen verweist The Gainsborough Packet auf den Industrialisierungsschub während der Mitte des 19. Jahrhunderts und auf die entscheidende Bedeutung von Musik und Gesang im täglichen Ablauf der jung urbanisierten Bevölkerung.


Mit seiner Kasseler Ausstellung widmet sich Matt Stokes dem Phänomen der nachhaltigen Wirkung von Musik des Underground als Gegenbewegung zum Mainstream sowie ihrer Fähigkeit zur Kollektivbildung in Subkulturen und deren Einflussnahme auf die Meinungsbildung und den Lifestyle; Fragestellungen, die Stokes’ gesamtes Oeuvre durchziehen. Vor diesem Hintergrund wird die filmische Arbeit The Gainsborough Packet mit skulpturalen und Objekt-Arbeiten, die aus dem Zusammenhang der Ravekultur entstammen, sowie mit der großen Filminstallation Cantata Profana (2010), die er speziell für seine Kasseler Präsentation produziert hat, kombiniert. Installiert in einem Halbrund, das den Hauptflügel des Fridericianums bestimmen wird und an die Architektur antiker Amphitheater erinnert, wird diese neue Filmarbeit einen eindringlichen Blick auf die Musikkulturen des Hard- und Grindcore und des Death Metal richten, die besonders in den 1980er und 1990er Jahren im musikalischen Underground der Stadt Kassel eine große Rolle spielten. Für dieses Projekt hat Stokes sechs Hardcore-Sänger ausgewählt, von denen einer aus Kassel stammt und weitere fünf internationaler Herkunft sind. Matt Stokes wird ihren typischen Gesang, der zumeist ohne Worte auskommt, mithilfe einer musikalischen Komposition miteinander in Verbindung stellen. Das Auditive, ihre Bewegungen und die Körperhaltungen der Sänger, aber auch die Aufnahmeorte, die die filmische Kulisse darstellen werden, tragen zur besonderen Atmosphäre dieser Arbeit bei.


Mit freundlicher Unterstützung von
Sacred Selections
Live-Mitschnitt aus dem Happy Hardcore-Orgelkonzert am
11. Februar 2011