Andro Wekua (geboren in Sochumi, Georgien, 1977) verknüpft in seiner Kunst kollektive und persönliche Erinnerungen zu eindringlichen, teils verstörenden Darstellungen. Das Düstere, das Unheimliche als Phänomen und die Angst als Symptom der menschlichen Psyche spielen in Wekuas Arbeiten eine große Rolle. Gezielt setzt er Mittel – oft bekannte Muster aus dem filmischen Horror-Genre – ein, um eine narrative Struktur zu schaffen, die entsprechende Empfindungen evoziert. Aufgewachsen in der damals sowjetischen Republik Georgien und von dort im Zuge des Bürgerkriegs vertrieben, blitzen in Wekuas Installationen, Collagen und Filmen immer wieder Bilder auf, die mit diesem Aspekt seiner Biografie verknüpft sind. Das Persönliche dient ihm aber lediglich als Illustration, um nach Allgemeingültigem zu fragen. Was passiert, wenn sich unsere subjektiven Erinnerungen mit fremden Bildern vermengen? Wenn wir probieren, unsere Gedächtnislücken mit Zeitdokumenten zu schließen? Oder wenn die Fantasie die mitunter grausamsten Antworten gibt? Letztere Frage zielt auf die Psychologie des „sich Gruselns“ ab und entspricht einem beliebten Stilmittel der Wekua’schen Szenografien.
In seinen Bildwerken kombiniert Wekua vorgefundene Motive aus Magazinen, aus dem Internet oder alten Fotoalben malerisch und mit Überklebungen zu vielschichtigen, kaleidoskopähnlichen Collagen. Erlebtes und Überliefertes überlagern sich hier auf visueller und erzählerischer Ebene. Diese Technik wendet er ebenso auf seine Skulpturen, Installationen und besonders auf seine Filme und Videos an. Seine oft dramatisch inszenierten Installationen zeugen von einem Hang zum Narrativen: Naturalistisch nachgebildete, wenn auch verfremdete Figuren, scheinen wie eingefroren in Situationen zu verharren, die – ähnlich einem Videostill – nur einen Moment des komplexeren Ganzen preisgeben. In seinen filmischen Arbeiten treten die Figuren seiner Installationen als Protagonisten auf, Wekua collagiert hier gleichsam aus seinem eigenen Fundus, löst Bilder erneut aus ihrem Kontext und setzt sie in ein neues Gefüge. Der neue, aufwendig produzierte Film, der in der Kunsthalle Fridericianum zu sehen sein wird, zeugt von diesem Prinzip. Never Sleep with a Strawberry in Your Mouth ist eine filmische Collage, die Bilder der Erinnerung mit der narrativen Logik des Horrorfilms zusammenfügt.
In der Kunsthalle Fridericianum präsentiert Andro Wekua unter dem Titel Pink Wave Hunter auch erstmals die gleichnamige Werkgruppe, die die stark zerstörten und verlassenen Gebäude seiner Geburtsstadt Sochumi ins Gedächtnis ruft. In 15 einzelnen Architekturmodellen versetzt er die eigenen, bereits 17 Jahre zurückliegenden Erinnerungen mit Informationen, die ihm Recherchen im Internet und der Foto-Austausch mit anderen Vertriebenen lieferten. Dass dabei keine getreuen Nachbauten, sondern höchst subjektive Gebilde entstehen, verraten nicht nur die sichtbaren „Gedächtnislücken“, wenn eine Skulptur etwa nur die Fassade zeigt, weil für den Rest die Erinnerung nicht ausreichte. Subjektiv und vor allem emotional bedingt erscheint auch die Wahl der Materialien, die für jedes Gebäude unterschiedlich ausfällt. Die Auswahl der thematisierten Häuser erfolgte nach der persönlichen Relevanz einerseits und der allgemeinen Popularität andererseits. Wekua verweist hier auf ein grundsätzliches Problem: Wir können die Vergangenheit nur durch den Zerrspiegel der subjektiven Erinnerung betrachten, untrennbar vermischt mit dem kollektiven Gedächtnis sowie Idealbildern, die sich über Verdrängtes legen. Wenn wir uns Vergangenheit vergegenwärtigen, dann stets in dem Sinne, dass wir sie auf die Gegenwart applizieren. Wekua visualisiert diese Bildschichten des Gedächtnisses mit einem Spürsinn für das Verdrängte, das er in seinen Arbeiten beschwört. Dies zeigt auch die ältere Videoarbeit By the Window (2008), die in der gemeinsamen Betrachtung wie eine Antizipation des neuen Films erscheint, der seinerseits die Bilder zuspitzt und mit Narration nach Horror-Art verschärfend auskleidet. Ergänzt wird die Ausstellung durch Skulpturen, Bilder und Collagen, die in typischer Wekua-Manier als mysteriöse Figuren erscheinen, deren Kontext sich im Erfahrungsschatz und Vorstellungsvermögen des Betrachters entfaltet und nur durch Andeutungen erahnen lässt.
In Kollaboration mit der Kunsthalle Wien und dem Castello Di Rivoli in Turin ist im Verlag der Buchhandlung Walther König ein dreibändiger Katalog zur Ausstellung erschienen.